Asbest - immer noch tödlich
"Unzerstörbar" - so lautet die wohl treffendste Übersetzung des altgriechischen Wortes "Asbestos". Und kaum ein anderer Gefahrstoff hat es zu solch trauriger Berühmtheit gebracht wie Asbest. Hunderttausende Arbeiter sind
an Krebs erkrankt weil sie einst im Job den Stoff einatmeten. Die Anerkennung auf Berufskrankheit ist jedoch selten.
Feuerfest, säurebeständig, stärker als Stahl, leicht zu verarbeiten, isolierend gegen Wärme, Kälte Nässe und Schall und extrem billig - Asbest wurde im Nachkriegsdeutschland als "Wunderfaser" oder "Faser der
1000 Möglichkeiten" gefeiert und tonnenweise in Dämmmaterial, Feuerschutz, Bremsbelägen, in Gebäuden, Schiffen und Autos verarbeitet. Doch was den Stoff für das Baugewerbe so besonders macht, ist für den
menschlichen Körper tückisch und gefährlich. Der Stoff erzeugt nachweislich Tumore und andere schwere Krankheiten und seine tödliche Wirkung entfaltet sich erst nach Jahrzehnten.
"Ich habe 1960 als Elektriker auf einer Werft gearbeitet", erzählt Harald Niemann. "Da bin ich mit Asbest in Kontakt gekommen." Während er und seine Kollegen an Bord arbeiteten, wurden neben ihnen die Asbestplatten zersägt. "Dabei wurden riesige Mengen Asbeststaub freigesetzt - aber die damit verbundene Gefahr war uns damals nicht bewusst." Die Lunge des Elektrikers wurde erst ab 1981 alle drei Jahre untersucht. Doch es dauerte 48 Jahre, bis der Asbest seine gefährliche Wirkung zeigte: 2009 wurde bei Harald Niemann eine Asbestose festgestellt. So wie dem Norderstedter geht es hunderttausenden Menschen in Deutschland: sie sind an Krebs erkrankt, weil sie in den sechziger oder siebziger Jahren auf Baustellen oder Werkstätten mit Asbest gearbeitet haben.
Vor 21 Jahren wurde der Einsatz von Asbest in Deutschland verboten, 1999 folgte das Verbot in der Europäischen Union. Doch die Gefahr wurde damit nicht gebannt. In vielen Gebäuden schlummern Altlasten und weltweit werden noch
immer jedes Jahr zwei Millionen Tonnen Asbest produziert.
Alle fünf Minuten stirbt irgendwo auf der Welt ein Mensch an den Folgen von Asbest. Das sind weltweit pro Jahr etwa 100 000 Tote. In Deutschland zählten Opferverbände bis heute 30 000 Asbesttote.
Erst in den letzten Jahren rollte eine Welle der asbestbedingten Erkrankungen an. Und die Zahl der Verdachtsfälle etwa bei Lungen- oder Kehlkopfkrebs steigt. Doch nur wenige werden als Berufskrankheit anerkannt. Die Betroffenen müssen beweisen, dass sie über Jahre der Asbestbelastung ausgesetzt waren, was teilweise gar nicht mehr möglich ist, weil durch die lange Latenzzeit zwischen Belastung und Ausbruch der Erkrankung viele Firmen von damals gar nicht mehr existieren.
Damit die Opfer zu ihrem Recht kommen und ihnen jahrelange Prozesse vor den Sozialgerichten erspart bleiben, hat die IG Metall einen umfangreichen Forderungskatalog aufgestellt. Sie fordert, die Beweislast zu erleichtern und hat eine Berufskrankheiten-Initiative gestartet.
Letzte Änderung: 16.12.2015