Diskussion zur Arbeitszeit

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05.08.2015 Beschäftigte wünschen Flexibilität und echte Zeitsouveränität

Die IG Metall diskutiert wieder über die Arbeitszeit. Die Beschäftigten wünschen sich Flexibilität nach ihren Bedürfnissen mit echter Zeitsouveränität sowie Arbeitszeiten für eine gute Balance von Arbeit und Privatleben. Hilde Wagner vom IG Metall Vorstand sagt:

"Die tarifliche 35-Stunden-Woche ist eine bedeutende Errungenschaft, die auch heute wirkt." Doch die Schere zwischen tariflichen und tatsächlichen Arbeitszeiten öffnet sich. Über Arbeitszeit wird wieder viel diskutiert. In der Metall- und Elektroindustrie gilt die 35-Stunden-Woche. Damit ist doch alles geregelt oder nicht?

Das wäre schön, ist aber zu einfach. Die tarifliche 35-Stunden-Woche ist eine bedeutende Errungenschaft, die auch heute wirkt. So sind beispielsweise die durchschnittlichen tatsächlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie im Vergleich mit der Gesamtwirtschaft um eine Stunde niedriger. Dieser tarifliche Standard gilt allerdings auch bei uns nicht in allen Tarifbereichen und nicht für alle Beschäftigte.

Wie aktuell die 35-Stunden-Woche heute ist, hat erst kürzlich unsere Beschäftigtenbefragung eindrucksvoll gezeigt: Nach ihren Wünschen befragt, antworteten knapp 70 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen: 35 Stunden in der Woche und einige davon wünschen sich auch weniger. In der Realität arbeiten allerdings die meisten Beschäftigten erheblich länger.

23 Prozent der Befragten arbeiten sogar über 40 Stunden in der Woche und einige arbeiten in Teilzeit. Letztere ist allerdings höchst ungleich verteilt: während in unserem Organisationsbereich rund 24 Prozent der Frauen Teilzeit arbeiten sind es nur 2,3 Prozent der Männer. Die Flexibilität der Arbeitszeit hat ebenfalls enorm zugenommen. Sie richtet sich in erster Linie nach den Auftragsschwankungen und Belangen der Betriebe - da liegt das Problem.

Was läuft am häufigsten schief?

Der Wettbewerbsdruck in den Betrieben ist sehr hoch. Die Leistungsanforderungen sind in den letzten Jahren stark gestiegen - und dies oft bei zu knapper Personaldecke. Viele Beschäftigte befinden sich in einer Situation "systematischer Überlastung" und "permanenter Bewährung". Unter diesen Bedingungen ufert die Arbeitszeit aus, Arbeitszeitkonten laufen über. Häufig "verfallen" geleistete Arbeitszeiten, entweder weil sie gleich gar nicht erfasst werden oder weil Kappungsgrenzen in Konten überschritten werden.

Unter ausufernden Arbeitszeiten leiden die sozialen Beziehungen der Beschäftigten, weil die Balance von Arbeit und Privatleben aus den Fugen gerät. Außerdem leidet auch ihre Gesundheit. Insbesondere psychische Belastungen und Beschwerden haben aufgrund maßloser Leistung und Arbeitszeit in einem Ausmaß zugenommen, dass selbst die Krankenkassen Alarm schlagen. Zudem nehmen neue Formen von Arbeit zu, zum Beispiel mobile Arbeit außerhalb des Büros, für die wir noch keine flächendeckenden Rahmenregelungen haben.

Welche Lösungen wünschen sich Beschäftigte?

Beschäftigte wünschen sich Flexibilität nach ihren Bedürfnissen. Sie wünschen sich echte Zeitsouveränität, Arbeitszeiten, die ihnen eine gute Balance von Arbeit und Privatleben und ein gesundes Altern ermöglichen. Befriedigende Arbeit soll Raum lassen für Erholung sowie für soziale und persönliche Interessen.

Männer und Frauen, Väter und Mütter möchten berufstätig sein, ohne Kinderbetreuung oder Pflegeaufgaben zu vernachlässigen. Manche wünschen sich mehr verbindliche Ansprüche und Zeit für persönliche Qualifizierung. Wir diskutieren deshalb auch über Arbeitszeitmodelle "kurzer Vollzeit", die es erlauben, zeitlich befristet oder auch anlassbezogen, Arbeitszeiten zu reduzieren. Solche Modelle entsprechen auch dem Bedürfnis nach lebensphasenorientiertem Arbeiten.

Was können denn die Betriebsräte tun?

Betriebsräte können die Beschäftigten durch betriebliche Initiativen und gute Regelungen bei der Durchsetzung ihrer eigenen Arbeitszeitinteressen unterstützen. Sie haben viele Möglichkeiten der Mitbestimmung. Ausnahmen sind die Punkte, die üblicherweise in Tarifverträgen geregelt sind, wie die Dauer der Arbeitszeit. Aber sie können über die Lage und Verteilung der Arbeitszeit mitbestimmen und beispielsweise im Sinne der Beschäftigten gute Schichtmodelle oder gute Kontenregelungen abschließen.

Mit Ampelkontenregelungen kann dem Verfall von Arbeitszeit entgegengewirkt werden, in dem diese zum Beispiel in der Rotphase mit erweiterten Einflussrechten des Betriebsrates über die Leistungsbedingungen und die Personalbesetzung verknüpft werden. Betriebsräte können sich ferner für Regelungen mobiler Arbeit einsetzen, die den Beschäftigten verbindliche Anspruchsrechte sichern.

Eine Voraussetzung für akzeptable Praxis und jegliche Neugestaltung ist allerdings, dass Arbeitszeiten nicht verfallen. Arbeitszeiten müssen erfasst und durch Entgelt oder Freizeitausgleich vergütet werden.

Wie helfen ihnen dabei die Tarifverträge?

In vielen Fragen der Arbeitszeit bieten die Bestimmungen unserer Manteltarifverträge ein gutes Fundament. Sowohl Betriebsräte als auch Beschäftigte können das für die Gestaltung der Arbeitszeit nutzen. Wenn Betriebsräte die bestehenden Anspruchsgrundlagen und Rechte wahrnehmen, erhöhen sie ihre Handlungsmacht im Betrieb und schaffen die Basis für deren Weiterentwicklung.

Was steht an ? Was gilt es zukünftig zu beachten?

Wenn wir erfolgreich sein wollen, muss unsere zukünftige Arbeitszeitpolitik die Lebensumstände der Beschäftigten und deren Lebensinteressen und Lebensentwürfe anerkennen und sie zum Ausgangspunkt von unterstützender Regulierung machen. Arbeit und Arbeitszeit prägen unser Leben. Die Frage "Wer verfügt über die Zeit?" ist deshalb so aktuell wie eh und je. Weil die Auseinandersetzung über diese Frage auch unter den heutigen Bedingungen eine hohe Konfliktbereitschaft erfordert, sollten wir mit der Vorbereitung darauf rechtzeitig beginnen.

Letzte Änderung: 01.09.2015