Hohe Dunkelziffer

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12.01.2016 Berufskrankheiten - ein Überblick

Weit mehr als die Hälfte der angezeigten Berufskrankheiten (BK) betrifft vier Krankheitsarten: die Hauterkrankungen, die Lärmschwerhörigkeit, die verschiedenen Asbesterkrankungen und die Erkrankungen der Lendenwirbelsäule aufgrund schweren Hebens und Tragens. Die am häufigsten angezeigten Krankheiten konzentrieren sich auf nur wenige Wirtschaftszweige, vor allem die Metall- und Elektroindustrie und die Bauwirtschaft, den Bergbau und das Gesundheitswesen.

Im Jahr 2011 wurden nach amtlichen Daten 74 337 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit gestellt. Experten nehmen an, dass es eine hohe Dunkelziffer von Erkrankungen gibt, die nicht als Berufskrankheiten erkannt und gemeldet werden. Nur rund 16 000 (21,4 Prozent) der angezeigten Verdachtsfälle führten zu einer Anerkennung, und ganze 5543 (7,5 Prozent) wurden auch mit einer Rente entschädigt.

Anerkennung schwer gemacht
Berufskrankheiten im Sinne des SGB VII sind in der Hauptsache beschränkt auf einige wenige chemische und physikalische Einwirkungen. Viele Erkrankungen, die durch Belastungen in der heutigen Arbeitswelt entstehen, haben gar keine Chance auf Anerkennung als BK. Soll eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt werden, muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sie infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist. Aus verschiedenen Belastungen zusammengesetzte Ursachenbündel, wie sie in der Praxis häufig vorkommen, begründen derzeit keine Berufskrankheit. Und es besteht ein krasses Missverhältnis zwischen Verdachtsmeldungen und Anerkennungen von Berufskrankheiten. Möglichst genaue und vollständige Daten über Belastungen am Arbeitsplatz erhöhen die Chancen auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Das ist oft schwierig. Für diejenigen, die häufig ihren Arbeitsplatz wechseln müssen, beispielsweise Leiharbeiter oder Werkvertragsnehmer, ist das besonders schwer.

Dosismodelle
Um das Maß der krankheitsverursachenden Einwirkungen genauer zu bestimmen, werden häufig Dosismodelle genutzt. Zumeist wird die Einwirkungskonzentration mit der Einwirkungsdauer multipliziert. Problematisch wird dieses Verfahren dann, wenn es dazu genutzt wird, die Belastung "klein" zu rechnen. Ein Beispiel: Zur Anerkennung eines Asbest-Lungenkrebses müssen mindestens 25 so genannte Faserjahre nachgewiesen werden. Ein Faserjahr liegt dann vor, wenn eine Person ein Jahr lang einer Konzentration von einer Million Asbestfasern pro Kubikmeter Atemluft ausgesetzt war. Diese Festsetzung ist mehr politisch als wissenschaftlich begründet. Sie verhindert in vielen Fällen eine Anerkennung. Das kann noch verstärkt werden, wenn beispielsweise beim Tragen von Atemschutz eine Minderung der Exposition unterstellt wird, ohne dass diese Minderung tatsächlich erreicht wurde.

Arbeitsbedingte Erkrankungen
Die Berufskrankheiten sind lediglich die Spitze eines Eisbergs. Arbeitsbedingte Erkrankungen als Folgen von Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz sind sehr viel weiter verbreitet. Das sind Erkrankungen, die durch die Arbeitsbedingungen ganz oder teilweise verursacht werden. Arbeitsbedingte Erkrankungen - für die es bis heute keine zuverlässigen amtlichen Statistiken gibt - entstehen hauptsächlich durch zwei große, sich oft wechselseitig verstärkende Belastungsarten:

  • hohe körperliche Belastungen und
  • massiv zunehmende psychische Belastungen einschließlich ungünstiger Arbeitszeitgestaltung.

Die häufigsten Krankheitsarten sind Muskel-Skelett-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und immer mehr auch psychische Erkrankungen. Davon sind nach Expertenschätzungen 30 bis 40 Prozent arbeitsbedingt. Das BK-Spektrum muss an die Arbeitswelt angepasst werden Die Kluft zwischen dem sich verändernden Belastungsspektrum und den Berufskrankheiten ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Die BK-Liste bildet die Belastungen der modernen Arbeitswelt nicht richtig ab. Die Aufnahme neuer Krankheitsbilder in die Liste dauert Jahrzehnte. Beim Carpaltunnel-Syndrom, einer Nervenschädigung des Handgelenks, waren es zum Beispiel rund 25 Jahre. Gar keine Aussichten auf Anerkennung einer Berufskrankheit haben Menschen, die in Folge von Arbeitsstress psychisch erkranken

Letzte Änderung: 16.12.2015