Arbeitsunfall in der Freizeit?

erste hilfe

28.12.2016 Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt auch dann, wenn ein Motorradfahrer sich dadurch verletzt, dass er einem Fahrradfahrer ausweicht.

Ein Motorradfahrer gerät plötzlich in eine brenzlige Verkehrssituation: Ein Radfahrer nimmt ihm unvorhergesehen die Vorfahrt. Um nicht zusammenzustoßen, reißt er den Lenker herum und stürzt schwer. Ist die gesetzliche Unfallversicherung für diesen Unfall zuständig?

Die gesetzliche Unfallversicherung, also Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, ist nicht nur für die Versicherung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zuständig.

Gesetzlich unfallversichert - nicht nur bei Arbeitsunfällen

Über diese Fälle hinaus sind auch weitere Tätigkeiten gesetzlich versichert, so unter anderem:

  • Ausbildungsverhältnisse
  • Kindergarten- und Schulbesuch
  • Studium
  • ehrenamtliche Tätigkeit im Gesundheits- / Wohlfahrtsbereich oder im Zivilschutz
  • Blut- oder Organspende
  • Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalte
  • Hilfe bei Unglücksfällen oder
  • Rettung eines anderen aus einer erheblichen Gefahrensituation

Versicherungsschutz besteht somit auch für "Retter": Menschen, die einen anderen aus einer Gefahrensituation retten und dabei selbst zu Schaden kommen. Die Gefahr muss dabei erheblich und gegenwärtig sein, so dass unmittelbar gehandelt werden muss und es nicht ausreicht, zunächst Rettungskräfte zu benachrichtigen.

Gilt das auch bei einem Verkehrsunfall durch ein Ausweichmanöver, um einen Radfahrer nicht zu überfahren?

Vollbremsung kann Leben retten

Der Motorradfahrer, der in seiner Freizeit unterwegs war, hatte sich bei dem Unfall an beiden Schultergelenken schwer verletzt und hat sich daraufhin an die gesetzliche Unfallversicherung gewandt.

Er hatte den Unfall ohne eigene Schuld verursacht, da ihm ein Radfahrer die Vorfahrt genommen hatte. In dieser Situation hatte er versucht, noch auszuweichen, um nicht mit dem Radfahrer zusammenzustoßen und eine Vollbremsung eingelegt. Damit hat er ihn aus einer Gefahrensituation gerettet, denn ansonsten hätte sich der Radfahrer mit Sicherheit zumindest schwer verletzt. Allerdings hat er sich bei dem folgenden Sturz selbst schwere Verletzungen zugezogen.

Deshalb hat er den Unfall bei der Berufsgenossenschaft angezeigt und Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung beantragt. Der Radfahrer habe sich in der plötzlichen Verkehrssituation in einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Gefahr befunden.

Kein Versicherungsschutz bei Bremsreflex?

Allein durch den Versuch auszuweichen habe er ihn retten können, deshalb sei der Unfall durch diese Rettung des anderen Verkehrsteilnehmers verursacht worden.

Die Berufsgenossenschaft hat sich jedoch geweigert, für die Unfallfolgen des Motorradfahrers aufzukommen. Sie hat das damit begründet, dass er bei dem Ausweichmanöver nicht bewusst an den anderen Verkehrsteilnehmer gedacht habe, sondern nur reflexartig, in Sekundenbruchteilen eine Vollbremsung eingelegt habe.

Außerdem hätte er auch sich selbst und nicht nur den Radfahrer durch die Vollbremsung retten wollen, weil es bei einem Zusammenstoß auch bei ihm zu einem Schaden gekommen wäre. Radfahrer und Motorradfahrer seien im Straßenverkehr gleichen Gefährdungen ausgesetzt.

Sozialgericht: Gerettet ist gerettet

Das hat das Sozialgericht Dortmund, das über den Fall zu entscheiden hatte, anders gesehen:

Es kommt nicht darauf an, ob die Rettung eines Anderen nach gründlicher Überlegung oder reflexartig in Sekundenschnelle unternommen wird. Auch bei einer plötzlichen Ausweichbewegung oder einem Bremsmanöver im Straßenverkehr handelt es sich um die Rettung eines anderen, wenn eine konkrete Gefahrensituation vorliegt.

Nach Sichtung der Polizeiakten ist das Gericht darüber hinaus zu dem Schluss gekommen, dass der Motorradfahrer sich selbst durch die Vollbremsung auch nicht besser gestellt hat, als wenn er stur geradeaus weiter gefahren wäre. Dann wäre es zwar mit Sicherheit zu einer Kollision gekommen, aber in Anbetracht der Geschwindigkeit und des Gewichtes des Motorrads gegenüber dem des Fahrrades könnte man sogar annehmen, dass er selbst dabei unter Umständen nicht einmal gestürzt wäre.

Das Gericht hat die Berufsgenossenschaft deshalb verurteilt, den (Freizeit-) Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Autor:
Mirko Schneidewind,
Rechtsschutzsekretär und Online-Redakteur, Leipzig

Letzte Änderung: 21.12.2016